»Sollst Du oder sollst Du nicht?« Die Frage aller Fragen ("Soll ich diesen Apfel wirklich essen?") stellte ich mir heute Nachmittag, denn eigentlich hatte ich nach einem Tipp im Lokalfenster des WDR Lust bekommen, mir das Londoner Portico Quartet anzugucken, aber andererseits hatte ich schon den halben Tag vertrödelt und musste noch arbeiten und ach, es schien alles zu knapp. Doch dann schrieb der allerbeste Lutz der Welt die entscheidende SMS und ich entschied mich für das Konzert und gegen einen Abend Routine: Es sollte eine Entscheidung werden, die ich nicht bereuen sollte. Was die vier jungen Londoner da auf der Bühne gezaubert haben, war etwas ganz Besonderes.
»Agnès Milewski, Wiener Singer/Songwriterin mit leichter Folk- und Pop-Attitüde, ist immer noch ein Geheimtipp für Freunde von gefühlvoller, intelligenter, abwechslungsreicher Musik mit bezaubernden Melodien und gut geschriebenen, persönlichen Texten. Ihr Gig an einem trüben Herbstabend im Großen Saal des Bürgerhaus Kalk in Köln wurde zur intimen, stellenweise sehr intensiven Seelenschau einer poetischen jungen Frau mit ihrer exzellenten Band.« So habe ich es am Wochenende im Schallplattenmann etwas hochtrabend formuliert, aber wenn ich es mir recht überlege, will ich das nicht relativieren oder zurücknehmen, denn genau so habe ich den Gig empfunden.
Gestern war es mal wieder Zeit für eine spontane Konzert-Entscheidung. Ich muss zugeben, das passiert in letzter Zeit immer seltener bei mir, ich kann mich meistens nicht aufraffen, Schande über mich und mein alterndes Haupt. Dieses Mal konnte ich aber der Versuchung nicht widerstehen, mir die Avantgarde-Künstlerin Carla Bozulich mit ihrer "Band" Evangelista ("Band" in Anführungszeichen deswegen, weil die Bozulich die einzige Konstante in dieser "Band" ist, die sich von Album zu Album, von Tour zu Tour neu formiert) anzuschauen. Ich sollte diese Entscheidung nicht bereuen.
(Ein Teil von) Belgium
Den Anfang machte die Vorgruppe Belgium (aus Mönchengladbach, sic!) war eine Mischung aus Postrock mit Trip-Hop und sonstigen Chill-Dingsbums-Einfllüssen. Ehrlich gesagt: Nach dem guten zweiten ("Podoloop") der drei Stücke (oder waren es 4 Stücke?) war die Luft raus, auch weil ich mich permanent fragen musste, warum so viele Musiker auf der Bühne stehen (drei trauten sich ins Licht, zwei andere wollten lieber im dunklen, linken Winkel der Bühne bleiben), wenn das meiste aus den Apple-Laptops kam oder hätte kommen können. Die antiseptische, unkommunikative Performance (die meisten wollten dann auch nicht wirklich ins Publikum gucken) tat dann ihr übriges. Provinz-Postrock ohne Nachhaltigkeit. Muss nicht sein, tut keinem weh, aber hat kein eigenes Profil.
Ich bin gerade nach Hause (sprich in unsere Ferienwohnung) eingekehrt und möche noch schnell vor dem Einschlafen ein paar Gedanken zu den gesehenen und gehörten Konzerten festhalten, bevor ich darüber geschlafen habe und der Eindruck sich relativiert hat:
Seit etwas mehr als 24 Stunden sind Petra und ich nun in Würzburg. Nach einer fast staufreien Fahrt von Kölle nach Würzburg (einen Stau konnten wir Dank Navina, unserem Navigationssystem teilweise umfahren) erreichten wir unsere Ferienwohnung, in der wir (Petra und ich, that is) die nächsten vier Tage verbringen werden. Am äußersten Stadtrand gelegen (rechtsmainisch, wenn ich das richtig sehe), direkt unterhalb eines Weinbergs in einer sehr ruhigen Einfamilienhaussiedlung. Wir bewohnen ein unabhängiges Ein-Zimmer-Appartment im Souterrain, in dem man es für einige Nächte sehr gut (und günstig) aushalten kann. Da hat Petra mal wieder den richtigen Riecher bei der Wahl der Schlaflokalität gehabt. Sogar Internet haben wir hier, allerdings kein störanfälliges W-LAN, sondern Internet über die Stromleitung, hatte ich auch noch nie, geht aber problemlos.
Gestern Abend waren wir dann noch wach genug, dass wir uns nach einem kleinen Einkauf sogar noch auf einen Federweissen ins Studentenviertel wagten. Mehr war aber dann doch nicht drin, also heimwärts, ein paar glücklich machende Nudeln verspachteln, einen obskuren fränkischen Rotwein namens Domina (sic!) dazu trinken und ein bisschen rumgammeln und sinnloses Zeugs bei Facebook spielen die Seele baumeln lassen.
Mono sind der letzte Schrei in Sachen Postrock. OK OK, vielleicht nicht der neueste, aber das aktuelle Album "Hymn To The Immortal Wind" und die positiven Kritken zum Album waren sicherlich noch einmal ein ordentlicher Schub in Sachen Popularität für die japanische Band. Das behaupte ich jetzt einfach mal, denn ich bin nicht gerade ein Experte in diesem Genre, obwohl es immer wieder Bands aus dieser Ecke gibt, die mir zumindest stellenweise gefallen (Sigur Ros, Godspeed You! Black Emperor etc.). Nun, Mono gehören auf jeden Fall mit ihrem neuen Album auch dazu. Und da ich aufgrund meines Kurzurlaubs in Frankfurt nun mal die Chance habe, einen von zwei Gigs in Deutschland mitzunehmen, war ich natürlich dabei, zumal mit Waeller dann auch noch eine befreundete progrock-dt-Nase zum Gig fuhr (und der Eintritt mit 13€ wirklich erschwinglich war).
2 Foot Yard im Kölner Stadtgarten (vor ca. 40 Leuten, immerhin), einer Kölner Institution in Sachen Jazz - und immer häufiger auch in Sachen Grenzgänger, die sich nicht so leicht kategorisieren lassen - und in der Tat habe ich heute Abend viel Interessantes gehört, aber nichts, was man auch nur annähernd gerechtfertigt in eine (vielleicht nicht einmal in mehrere) Schublade(n) stecken könnte. Rock mit Cello und Violine, Avantgarde (juaaah.. aber gar nicht sooooo dolle), Jazz, Blues, ein bissken Americana, sogar "Pop" (der Gute mit den Anführungsstrichen) dazu ein Hauch Ravel und Stravinsky (vielleicht auch Bartok?). 2 Foot Yard entziehen sich den Kategorien (und werden sogar ein wenig krabitzig auf Anfrage - ok, Künstler mögen Schubladen niemals) und machen "ihr Ding" - und ihr Ding lebt vor allem von der Interaktion dreier Charaktere auf der Bühne und ihrer Instrumente. Die Ergebnisse fallen dann, je nach Song, mal so und mal so aus.
Vienna Teng ist seitdem ich sie (gemeinsam mit Petra) bei last.fm entdeckt habe, eine meiner liebsten Singer-Songwriterinnen geworden. Sie verbindet intelligente, gefühlvolle und nicht selten poetische Texte mit tieftrauriger, melancholischer Musik. Da von Vienna Teng nicht nur die übliche myspace.com-Seite, sondern auch jede Menge Live-Material frei erhältlich ist (z.B. → hier), war ich mit ihrer Art der Live-Shows durchaus vertraut, war aber dennoch überwältigt von der Bühnenpräsenz des Trios. Vienna hat prinzipiell nichts gegen Bild- und Ton-Aufnahmen ihrer Konzerte, behält sich aber ein gewisses Einspruchsrecht vor.
Zu hören gab es einige der wirklich besten Interpretationen, die ich bis dazu von ihr gehört haben. Zu den absoluten Highlights gehörten Blue Caravan, Antebellum, St Stephen's Cross, Stray Italian Greyhound, Harbour und das Simon & Garfunkel-Cover "Keep the Customer Satisfied" mit einer sichtlich gerührten (und sogar ein wenig entrückten) Vienna Teng.
Hier in ordentlich klingendes Amateur-Video vom Abend von "Antebellum":
Univers Zero vor heimeliger Kulisse in den Achtzigern
Würdet ihr zum Konzert einer Band gehen, die sich in den 1980ern so fotografieren ließ? Nicht? Nun, dann sind wir offenbar grundverschieden, denn für mich stand seit Bekanntwerden des Termins fest: Ich fahre nach Würzburg und schau mir die belgischen Pioniere in Sachen "Rock in Opposition" Univers Zeroan. Endlich eine der ganz großen RIO-Bands sehen! Hurra!
Und wie das nun einmal so ist - man findet im Umfeld der [progrock-dt] immer genügend Mittäter, so dass schlussendlich ein Auto voller NRWler gestern Mittag die 300km-Fahrt nach Würzburg antrat. Hin und Zurück an einem Tag, dazwischen Treffen mit Freunden und natürlich das Konzert. Well, auf geht's...
Unverhofft kommt oft. Aber das muss nicht immer überragend sein. Und so unverhofft meine Freikarten für das Paul-Carrack-Konzert in der Kulturkirche (in Köln-Nippes, also bei mir um die Ecke) waren, so durchschnittlich war dann doch die Performance, auch wenn sie in einem besonders schickem Ambiente stattfand. Die Kulturkirche ist nämlich tatsächlich in erster Linie eine ganz normale (evangelische) Kirche, genauer gesagt die "Lutherkirche", in der seit einigen Jahren auch kleine und mittlere Künstler auftreten, Acts wie Emiliana Torrini, Helen Schneider, John Watts (die Stimme von Fischer-Z) oder eben Paul Carrack. Paul Carrack? Paul Carrack? "I know that name" war der Untertitel der Tour und in der Tat kommt den meisten der Name bekannt vor - bekannter ist allerdings noch die Stimme von Band wie Squeeze und vor allem Mike & The Mechanics. Seine Solo-Hits ("Don't Shed A Tear", "How Long") kennt man aus dem Radio. Keine Frage, dass Paul Carrack über eine außergewöhnlich schöne Stimme verfügt und hervorragend mit ihr umzugehen weiß, aber...
Todd Rundgren, Rachel Haden - im Hintergrund Jesse Gress
Es ist gewiss für jeden etwas besonderes, wenn er einen alten Helden seiner Jugend nach vielen, vielen Jahren zum ersten Mal live erleben darf; es hat dann auch noch etwas von Weihnachten und Ostern gleichzeitig, wenn diesen Konzert auch unter musikalischen Aspekten erfreulich war und man sich den Heroen nicht schönreden muss.
TR, Rachel und Kasim Sulton
Mein erstes Live-Konzert mit der Musiker- und Produzenten-Legende Todd Rundgren, dessen Fan ich seit ca. 1980 (das sind fast 30 Jahre, meine Fresse!) bin, war unter diesem Aspekt für mich ein voller Erfolg. Und wenn ich mich an die seligen Gesichtsausdrücke in den zumeist älteren Gesichtern der Fans erinnere, so war das nicht nur bei mir so (und ich glaube, ich hatte zum ersten Mal das Gefühl ein Konzert, bei dem die Fans ähnlich debil grinsen, wie bei den von mir oft zitierten Marillion-Konzerten mit den "Weihnachtsgesichtern" bei den Fans).
Kaum nimmt man einen halben Tag frei, schon beschweren sich die werten uergsel.de-Leser bei mir und verlangen Nachschub. Gut, gut - dann will ich mal meinen Senf zu Tag 2 ablassen, bevor ich wieder alles Wesentliche vergessen habe.
Machen wir es kurz (denn gleich geht es ja schon weiter mit der FreakParade und auch ürgselige Blogger brauchen ab und zu Nahrung, die über Progburger mit Einhorrn-Fleisch hinausgeht). Der erste Tag war gut, bot überragende Musik (Aranis), ekstatisches (Magma), ordentliches (Thieves' Kitchen) und bemühtes (Art Zentral).
Pssst, eigentlich hat sie ja noch gar nicht begonnen, die FreakParade. Aber gestern fing sie ja doch irgendwie an, inoffiziell sozusagen. Der harte Kern der üblichen Verdächtigen traf sich, aus allen Ecken Deutschlands eintreffend, in Würzburg. Ich selbst war mit Lutz, Michel und Fix im wohl prominentesten und durchschnittsältesten Progger-Transport, was uns aber dank einer relativ staufreien Fahrt und guter Reisemusik (A Tribute To The Lamb Lies Down On Broadway von Rewired Genesis alias Nick D'Virgilio und Co.) und lautstarken Männergesängen (hüstel) ein überaus angenehmer Auftakt des Prog-Wochenendes war.
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